Esther Wicki-Schallberger ist Sammlerin, die aus Gefundenem Neues schafft. Dies zeigt eine aktuelle Werkgruppe mit collageartigen Eingriffen in ein Buch mit Fotografien von SAC-Hütten: „Die Clubhütten des Schweizer Alpen-Club im Jahre 1927“. Heute sorgt die neuste Generation dieser Bauwerke in den Bergen für Aufsehen ihrer zeitgenössischen Architektur wegen. Da mutet das Zitat aus dem Vorwort des Werks direkt prophetisch an: „Die rasch fortschreitende Entwicklung auf dem Gebiete des Alpinismus lässt solche Veröffentlichungen bald alt werden; sie sollen den Bedürfnissen der Gegenwart dienen, die Zukunft wird für die ihrigen sorgen.“
Nun legt Esther Wicki-Schallberger, 85 Jahre nach dem Erscheinen der Publikation, das Clubhüttenalbum in einer neuen Gestalt vor. Mit ihrer Collagetechnik des Schneidens, des Austauschens und Ersetzens, des Verpflanzens, Akzentuierens oder Integrierens, mit verfremdenden Einblicken und Aussichten, mit Abriss und Anbau, mit Einbrüchen von diametral entgegengesetzten Welten, mit ausdünnen und anreichern, mit Versatzstücken quer durch die Architektur- und Kunstgeschichte, die im Bild auftauchen, wirkt sie dem Altwerden entgegen und dient den aktuellen Bedürfnissen.
Ob Manet, Magritte, Matisse oder Pollock, ob Palazzo, Säulenhalle, Birkenhain oder Observatorium – in Wickis Alpen ist nichts unmöglich. Hier wirken Filmkulissen, Minimalart-Eingriffe oder monumentale Überhöhung; die meist menschenleeren Szenerien versetzen uns in Tschechows Russland, in die amerikanische Grossstadt, ins herrrschaftliche Italien, auf Frankreichs Auen oder ins Römische Reich. Ihre Collagen geben den Anstoss, das vermeintlich Vertraute immer wieder mit neuen Augen zu betrachten, die Vergangenheit nicht nur wissenschaftlich seriös, sondern auch verspielt und intuitiv anzugehen, die Grenzen von Zeit und Raum zu überschreiten und Touren im Kopf zu unternehmen und so zu neuen Zielen nicht nur im Alpenraum zu gelangen. Auf „dass es sie (die Clubkameraden) zu weiteren Fahrten in Gebiete, die ihnen bis anhin vielleicht noch unbekannt geblieben sind, anrege“, wie es bereits seinerzeit in der Einleitung zum Album von den Herausgebern gewünscht wurde.
Urs Sibler